Ich klage an by Ayaan Hirsi Ali

Ich klage an by Ayaan Hirsi Ali

Author:Ayaan Hirsi Ali [Ali, Ayaan Hirsi]
Language: eng
Format: epub
ISBN: 9783492263931
Publisher: Piper
Published: 2001-12-31T23:00:00+00:00


Der Fall Anab

Anab und Shukri sind zwei minderjährige Asylantinnen. Bei ihrer Ankunft in den Niederlanden werden sie gefragt, ob sie hier Verwandte haben. Sie landen bei Said, ihrem älteren Halbbruder, der mit seiner Frau bereits seit fünf Jahren hier lebt. Anstelle eines offiziellen Vormunds wird er von der Stiftung De Opbouw (DerAufbau) zur Vormundschaft »ermächtigt«. Diese Stiftung war damals für die Vormundschaften über alleinstehende minderjährige Asylantinnen zuständig und übte lediglich eine Kontrollfunktion aus.

Die beiden jungen Frauen werden von Said über einen län-geren Zeitraum sexuell mißbraucht; Anab, die ältere, am längsten und schwersten. Das Ganze fliegt auf, als die jüngere Schwester, Shukri, einer Sozialarbeiterin der Stiftung alles erzählt. Die Stiftung erstattet Anzeige und schaltet darüber hinaus das Jugendamt ein. Said wird verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Im Präsidium der Sittenpolizei in Den Haag lerne ich eine Schwester von Anab und Shukri kennen. Ich bin hinzugerufen worden, um für diese hochschwangere, kopftuchtragende Somalierin zu dolmetschen. Bei der Vorstellung fragt sie sofort: »Zu wem gehörst du?« Das bedeutet: »Zu welchem Clan gehörst du?« Ich gebe ihr zur Antwort, daß ich als offizielle Dolmetscherin derartige Fragen nicht beantworten darf. Da ich auch eine Somalierin bin, will sie es wegen der Dinge, die gleich zur Sprache kommen werden, trotzdem gerne wissen. Ich bleibe bei meiner Weigerung und erkläre ihr, für mich gelte die Schweigepflicht.

Sie erzählt, daß sie, ihre beiden Schwestern und ihr Halbbruder alle zur selben väterlichen Linie gehören. Innerhalb der Abstammungslinie gilt ein Halbbruder als leiblicher Bruder. Die Polizisten wollen von ihr alle möglichen Details über den Täter wissen: ob sie von dem sexuellen Mißbrauch gewußt habe, ob er schon vorher Frauen und Mädchen mißbraucht habe, ob er immer gleich vorgehe und so fort. Sie nimmt sich anschließend eine gute halbe Stunde Zeit, um zu erklären, wie untadelig ihre Familie sei. Daß nur der junge Mann hier schuld sei. Daß sexueller Mißbrauch unter Somaliern ohnehin nie vorkomme. Daß das hier ein Fluch sei. Und darüber hinaus bestehe sie darauf, daß noch einmal untersucht wird, ob überhaupt wirklich etwas passiert sei. Die Frau ist völlig durcheinander. Sie frage sich, wie sie das Ganze richtigstellen könne.

Ich erfahre viele Details über die Angelegenheit: wann alles angefangen hat, wie es angefangen hat, wer Anzeige erstattet hat, daß der Mann nicht nur die beiden jungen Frauen mißbraucht, sondern auch seine Ehefrau regelmäßig vergewaltigt und mißhandelt hat.

Etwa eine Woche danach soll meine Cousine Maryan bei mir einziehen. Sie teilt mir die Anschrift von Bekannten mit und bittet mich, sie am Wochenende dort abzuholen. Sie ist gerade zu Besuch bei einer Freundin, die sie seit ihrer Ankunft in den Niederlanden kennt. Sie unterstanden damals beide der Kontrolle der Stiftung De Opbouwund hatten sich angefreundet: junge Frauen, die sich zusammen vergnügten und Schuhe mit ganz hohen Absätzen trugen.

In dem Haus in Utrecht herrscht eine furchtbare Unordnung. Das ganze Haus stinkt nach Urin. Zwei kleine Kinder, etwa ein beziehungsweise zwei Jahre alt, krabbeln in Windeln herum, die lange nicht mehr gewechselt worden sind. Das Wohnzimmer liegt voller schmutziger Windeln. Die Freundin meiner Cousine, bei der wir zu Besuch sind, heißt Anab.



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